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Institut für Biomedizinische Ethik und Medizingeschichte (IBME)

Janina Kehr zur Dr. phil. promoviert

Medizingeschichte und Ethnologie zu verbinden hat in Zürich Tradition: Erwin H. Ackerknecht, Direktor des MHIZ zwischen 1957 und 1971, hatte nach seiner Flucht aus dem nationalsozialistischen Deutschland in Paris Ethnologie studiert. Zu seinen Lehrern gehörte der damals führende französische Ethnologe Marcel Mauss. Wir freuen uns, mit Dr. Janina Kehr an diese Tradition anzuknüpfen. Ihr Projekt wurde von Prof. Didier Fassin (Paris, Princeton) betreut, der heute zu den bekanntesten Ethnologen weltweit gehört.

Kehr hat unter dem Titel Eine Krankheit ohne Zukunft. Anthropologie der Tuberkulose in Frankreich und Deutschland eine vergleichende Ethnographie über den Umgang mit Tuberkulose im 21. Jahrhundert vorgelegt. Die Arbeit zeigt, dass Tuberkulose seit der Möglichkeit medikamentöser Behandlung in den 1950er Jahren zunehmend als eine Krankheit angesehen wurde, die keine epidemiologische Zukunft hat – zumindest nicht in „modernen“, westlichen Ländern. Kehr beschreibt unter anderem zwei Konsequenzen dieser Vorstellung.

Erstens ist Tuberkulose bis heute in Europa eine relativ unsichtbare Krankheit, obwohl sie über all die Jahrzehnte ebenso persistierte wie der staatliche Kontrollapparat in Form von Tuberkulosefürsorgen und epidemiologischer Überwachung. Zweitens bewirkte die Vorstellung eines baldigen Endes der Tuberkulose, dass die Medizin ihre eigene professionelle Zukunft nicht mehr auf dieser Krankheit aufbauen konnte. Forschung und Therapie stagnierten seit den 1960er Jahren.

Mit dem Ende des Kalten Krieges und einer zunehmend „globalen“ Sicht auf Krankheiten änderte sich das Bild der Tuberkulose als Krankheit ohne Zukunft langsam wieder, wie Kehr weiter zeigt. Heute wird Tuberkulose wieder als ernstzunehmendes Gesundheitsproblem wahrgenommen, und neue Forschungen sind in Gang. Allerdings nun vor allem in Ländern des Südens. Unverändert ist die Tuberkulose auch heute noch ein Marker für soziale Ungleichheiten, die sich jedoch sowohl lokal als auch global in neuen Facetten zeigen.

Kehr verfasste ihre Dissertation im Rahmen eines bi-nationalen Promotionsverfahrens. Neben Prof. Fassin betreute Prof. Stefan Beck (Humboldt Universität zu Berlin) das Projekt. Herzliche Gratulation!