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OrganisatorInnen: Beat Bächi (Institut für biomedizinische Ethik und Medizingeschichte, Universität Zürich), Maria Böhmer (Institut für biomedizinische Ethik und Medizingeschichte, Universität Zürich), Frédéric Vagneron (Centre Alexandre-Koyré, EHESS, Paris)
Zwischen den 1930er und 1980er Jahren vollzog sich ein markanter Wandel in den
landwirtschaftlichen Produktionsweisen. Die «Industrialisierung von Organismen»
veränderte die Arbeit und den Umgang der Menschen mit den Nutztieren stark (Schrepfer und Cranton 2003). Zumindest in Europa ging das wirtschaftspolitische Ziel der Leistungs- und Produktionssteigerung einher mit einer zunehmenden Spezialisierung der Landwirtschaft sowie einer zunehmenden Professionalisierung der beteiligten Akteure. Ein wichtiger Bereich, in dem sich diese Spezialisierung niederschlug, ist das Krankheitsgeschehen im Stall.
Während jüngere Forschungsbeiträge vor allem untersucht haben, welche Folgen die
Intensivierung der Landwirtschaft und die Massentierhaltung für die Lebensmittelsicherheit, die Konsumgewohnheiten und das Risikoverständnis von Gesellschaften zeitigten, möchten wir den Blick auf die konkreten Praktiken und Materialitäten lenken, die rund um die «Tiergesundheit» entstanden. Im Zentrum unseres Workshops steht deshalb die Frage, wie Gesundheit und Krankheit im Stall in den Jahrzehnten zwischen 1930 und 1980 «produziert» wurden. Wir gehen davon aus, dass daran nicht nur Veterinärmediziner und Bauern sowie die Tiere selbst beteiligt waren, sondern auch eine Vielzahl weiterer Akteure: Futtermittelproduzenten und -berater, Agronomen und Zootechniker, genossenschaftliche Organisationen, staatliche Forschungsanstalten und Labore, die Pharma-Industrie sowie supra-nationale Akteure – sie alle waren auf unterschiedliche Weise in die «Ko-Produktion» der Tiergesundheit im Stall involviert (Woods 2019). Anders als die historischen Tierseuchen erforderten die neuartigen sogenannten «Produktionskrankheiten» (Payne 1971) die engmaschige Zusammenarbeit vieler Expertengruppen.
Wer sind die Akteure bei der Verschreibung neuer Substanzen und "Lösungen", die auf das Ziel der Ertragssteigerung ausgerichtet sind? Wie haben diese verschiedenen Akteure versucht, Krankheiten mit unterschiedlichen Erscheinungsformen in der Tierpopulation zu verhindern oder zu heilen? Wo gab es Kooperationen und Konflikte zwischen verschiedenen beruflichen, wirtschaftlichen und gesundheitspolitischen Interessen? Von was für einem Verständnis von «natürlichen» und «gesunden» Tieren war das Handeln der Akteure geleitet?
Besonderes Augenmerk möchten wir auf die Frage lenken, welchen Stellenwert den
Medizinalstoffen im Stall zukam. Es ist zu vermuten, dass der rapid steigende
Arzneimitteleinsatz nach 1950 nicht nur therapeutischen Zwecken diente, sondern auch eine Antwort auf verschiedene Probleme in der Tierhaltung bot, die erst durch die Intensivierung und Spezialisierung der Landwirtschaft hervorgebracht wurden (zum Beispiel die Konzentration der Populationen in künstlichen Umgebungen). Ebenso interessieren uns aber jene Praktiken und Strategien im Umgang mit gesunden und kranken Tieren, die von dem zunehmenden Einfluss von Pharmazeutika weitgehend unbeeinflusst blieben, aber dennoch dem Strukturwandel der Landwirtschaft angepasst wurden. Nicht zuletzt fragen wir danach, ob und in welchen Kontexten Widerstände gegen das übergeordnete Ziel der Leistungssteigerung – und der Rolle von Medizinalstoffen darin – artikuliert und an welchen Stellen alternative Konzepte entwickelt wurden.
Wir laden interessierte ForscherInnen dazu ein, folgende und weitere Aspekte in
empirischen, quellennahen Fallstudien zu untersuchen:
Der Workshop wird in der letzten Aprilwoche 2020 in Zürich stattfinden. Eine kurze Beitragsskizze von 400 Wörtern (in Deutsch, Französisch oder Englisch), die Fragestellung, Herangehensweise und Quellenbasis erläutert, erbitten wir bis Ende
Dezember 2019 an: beat.bächi@uzh.ch